Idee und Praxis des Kindergartens – ein Immaterielles Kulturerbe?
Der Fröbel-Kreis ist sich sicher – die Idee und Praxis des Kindergartens, als Realisierung eines humanistischen Verständnisses von Kindheit gehört auf die Bundesliste des Immateriellen Kulturerbes. Aus diesem Grund wagte der Fröbel-Kreis, in Unterstützung durch das LEADER Management Slf-Ru, bereits im Oktober letzten Jahres einen zweiten Versuch mit seinem Antrag an die Staatskanzlei. Und jetzt war die Freude groß, als die Nachricht einging, dass für das Land Thüringen die Empfehlung zur Nominierung des Kindergartens als Immaterielles Kulturerbe abgegeben wurde. Damit ist die erste Etappe eines mehrstufigen Verfahrens bewältigt.
An der Auswahl sind neben den Bundesländern die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, das Auswärtige Amt und die Deutsche UNESCO-Kommission beteiligt. Aktuell liegen die Vorschläge der Länder, und damit auch die Bewerbung „Kindergarten“, dem Expertenkommitee Immaterielles Kulturerbe der Deutschen UNESCO-Kommission zur Prüfung vor. Die Kultusministerkonferenz und die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien bestätigen abschließend die Auswahlempfehlungen des Expertenkomitees. Mit einer Veröffentlichung der Ergebnisse wird in der ersten Dezemberhälfte 2018 gerechnet.
Auch im ersten Versuch des Fröbel-Kreises in 2014 wurde der Antrag durch das Land Thüringen bestätigt, scheiterte jedoch an der Aufnahme in die Bundesliste Immaterielles Kulturerbe. Mit überarbeiteter Bewerbung erwarten die Beteiligten die Abstimmung nun aber erneut positiv gestimmt und hoffen, dass sich die Empfehlung des Kindergartens als Immaterielles Kulturerbe durch das Land Thüringen ebenfalls positiv auf die aktuell laufende Kampagne und Petition „Die Welt spricht KINDERGARTEN! Für den Begriff Kindergarten im öffentlichen Sprachgebrauch!“ auswirken wird.
Zusammenfassung der Bewerbung zur Aufnahme in das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes: „Idee und Praxis des Kindergartens als Realisierung eines humanistischen Verständnisses von Kindheit“:
Der Kindergarten, als eigenständige Bildungseinrichtung, fußt auf einem Verständnis von Kindheit, das zu den humanistischsten Ideen der Menschheit gehört. Er ist eine besondere Bildungsinstitution, ein geschützter Raum, wo Bildung und Persönlichkeitsentwicklung, entsprechend der Lebenswelt der Kinder, nicht durch „Belehrung“, sondern im Spiel erfolgt.
Heute wird die Kindergarten-Idee weltweit praktiziert. In Deutschland wird das flächendeckende Angebot frühkindlicher Betreuung und Erziehung gesellschaftlich und politisch getragen.
Entstanden ist der "Kindergarten", als Resultat eingehender Beobachtung des Kindes durch den Pädagogen Friedrich Fröbel. Er dachte und gestaltete von der Lebenswelt des Kindes ausgehend und gründete zur praktischen Umsetzung seiner theoretischen Vorarbeit 1840 den ersten Kindergarten in (Bad) Blankenburg/Thüringen. Eine Institution der Bildung, Erziehung und Betreuung von Kleinkindern, ergänzend zur Erziehung in der Familie. Er bot den Kindern damit einen geschützten Raum, um die Welt mit vielfältigen Beschäftigungen spielerisch zu entdecken und zu begreifen und legte damit den Grundstein für unser heutiges Verständnis von Bildung im frühkindlichen Alter. Überzeugt von der Notwendigkeit einer qualitativen ganzheitlichen Begleitung im Kindergarten, schuf er das Berufsbild der Kindergärtnerin. Die an Fröbels Schule in Bad Liebenstein ausgebildeten Kindergärtnerinnen waren es, die seine Idee bald schon in die Welt tragen sollten. Die Region wurde somit zum Ausgangspunkt der nationalen und internationalen Kindergartenbewegung, meist unter direkter Übernahme der Wortschöpfung „Kindergarten“.
Die Kindergarten-Idee sowie deren zugrundeliegendes Verständnis von Kindheit, als eigenständige und wichtige Phase der Menschentwicklung, entfaltet bis heute weltweit eine andauernde Wirkung und prägt ebenso das Familienleben, die Erziehung oder kindgerechte Angebote wie auch das gesellschaftliche Zusammenleben im Allgemeinen.
DEN Kindergarten oder das EINE Kindergarten-Konzept gibt es heute nicht, sondern eine Pluralität an Entwürfen und Konzepten, abhängig von pädagogischen Leitlinien, ebenso wie von gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen.
Die Kindergartenpädagogik passt sich seit ihren Anfängen immer wieder lokal vorherrschenden Bedingungen, Einflüssen und Erkenntnissen an und ist damit ständiger Veränderung ausgesetzt. Trotzdem bleibt zumeist der gemeinsame Grundgedanke Fröbels erhalten – einen geschützten Ort für Kinder zu schaffen, an dem sie aktiv, eigenständig und selbstwirksam leben können und sich mit Ihresgleichen austauschen.
Sehr unterschiedliche Lebensbedingungen von Kindern weltweit zeigen, dass der Fortbestand der zutiefst humanistischen Kindheitsidee vielfältigen Existenzbedrohungen ausgesetzt ist. In Zeiten des Umbruchs, des Krieges, diktatorischer Verhältnisse oder sozio-ökonomischer Krisen, sind immer auch die Kindheit und gleichzeitig die humanistischen Grundlagen des Kindergartens gefährdet. Auch scheint sich der Wert der Kindheit für die Gesellschaft in der Wertschätzung der Erziehenden negativ widerzuspiegeln. Das manifestiert sich neben niedriger materieller Anerkennung der Tätigkeit ebenso wie in geringen Ausbildungsförderungen oder der Ausstattung der Kindergärten. Gerade die ersten Lebensjahre des Kindes jedoch stellen hohe Ansprüche an Qualifikation und Motivation des Erziehungspersonals, womit das humanistische Verständnis von Kindheit im Kindergarten gefährdet scheint.
In der Region von Bad Blankenburg bis Bad Liebenstein wird das Erbe Friedrich Fröbels von Menschen gepflegt, gelebt und weitergegeben, die im Bewusstsein der großen humanistischen Bedeutung seiner Ideen bis in die Gegenwart und in der Verantwortung gegenüber der Bewahrung von Kindheit handeln. Als Fröbel-Kreis arbeiten sie regelmäßig mit nationalen wie internationalen Partnern zusammen, um die in 2013 initiierte Fröbel-Dekade in zehn Themenjahren inhaltlich zu unterlegen. Ziel ist es ihnen, öffentliche und politische Aufmerksamkeit für die Wertigkeit von Kindheit, die notwendige Qualität und Anerkennung von Erziehern sowie die gesellschaftliche Bedeutung des Kindergartens zu erzeugen, um die humanistische Idee des Kindergartens zu wahren.
Gleichwertige Kulturerbeträger der Kindergarten-Idee und Praxis sind Eltern, Pädagogen, Erzieher, Unternehmen, Vereine, Verbände, Gemeinden – unsere Gesellschaft. Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft sind mit der Kindergartenidee verbunden, arbeiten mit ihr, nutzen sie und tragen somit zum Erhalt der Idee bei, die sich auch dadurch im ständigen Wandel begreift. Veränderungen gilt es zu beobachten und einzulenken, wenn der Schutz des Kindes, seiner Bedürfnisse und damit auch die qualitative Begleitung gefährdet sind.